Bessy Classic

Um die Bessy Classic vorzustellen, müssen wir nach Belgien ins Jahr 1952 zurückschauen. Hier erfanden Willy Vandersteen (Text) und Karel Verschuere (Zeichnungen, ab Nr.60 Eduard de Rop) inspiriert durch den Fernsehhund Lassie einen Comic um die Colliehündin Bessy. Sie erlebt mit ihrem Herrchen Andy zur Zeit des Wilden Westens Abenteuer zunächst in Kanada, später dann in ganz Nordamerika.

Die ersten Geschichten handeln vom Überlebenskampf einer Einwandererfamilie in der Wildnis Kanadas. Sie haben anfangs noch wiederkehrende Nebenfiguren, den Trapper Bill Carter und die Führerin des Wolfsrudels Sagwa, die in der 3.Geschichte bei einem Kampf mit Bessys ums Leben kommt. Andy ist damals noch ein Junge, der aber schon bald mit seiner Bessy alleine umherzieht und Abenteuer erlebt. Die Ranch die sich Andys Eltern mit Hilfe eines Goldfundes aufbauten wurde ihr Zuhause von dem sie oft zu Abenteuern aufbrachen und wo sie auch viele Abenteuer erlebten. Diese Anfänge in Kanada verschwieg der Bastei-Verlag dem deutschen Leser wohl bewusst. Denn die Heimat-Ranch wanderte im Laufe der Zeit an unbestimmte Orte in den USA bis sie viele Jahre später in Kalifornien ihren festen Platz fand.

In der 7.Geschichte finden Andy und Bessy den Waisenjungen Ronny, der auch noch in der 8.Geschichte (Hier finden sie Dinosaurier, deren Ausrottung sie endgültig besiegeln.) und in der 19.Geschichte dabei ist. Ronny verschwindet dann aber für 12 Jahre, bis er 1968 im Bastei-Bessy Nr.92 wieder auftaucht. Von dort an erlebt er bis zur Einstellung der Serie oft zusammen mit Andy und Bessy Abenteuer. Begleitet wird er dabei von seinem zahmen Adler Rhawik, den Andy in der 6.Originalgeschichte 1954 aus dem Nest holte.

Markant für die Bessy-Geschichten sind oft die Rollen von Tieren, die manchmal stark vermenschlicht mehr oder weniger wichtige Nebenrollen spielen. Bessy freundet sich oft mit ihnen an, eine tierfreundliche Einstellung die die meisten Bessy-Leser bis heute prägt.
Auch die für die 50er Jahre nicht selbstverständliche überwiegend positive Haltung zu Indianern findet sich schon in den frühen Bessy-Geschichten. Allerdings laufen Bessy-Geschichten oft nach dem Schema gerechter Häuptling contra bösem Medizinmann ab und Indianerkinder in der Handlung sind meist Häuptlingssöhne/töchter.

Besonders erwähnenswert ist die 44.Geschichte. Hier bekommt Bessy Junge. Dies ist auch eine Geschichte, die Bastei nie veröffentlicht hat, vielleicht wegen der traurigen Ereignisse.

Veröffentlichungen in Belgien:

Die Erste die Bessy in Belgien veröffentlichte - und wo Bessy ab 1952 31 Jahre lang lief - war die französischsprachige Zeitung „La libre belgique“. In ihr erschienen die Geschichten als Fortsetzungen mit jeweils 2 Zeilen bzw. meist 6 Bilder pro Tag. So dauerte es 10 Wochen bis eine Geschichte beendet war. Es gab also verglichen mit der späteren wöchentlichen Erscheinungsweise im deutschen Bastei-Verlag viel mehr Zeit um durchdachte Geschichten zu ersinnen. Da in der Zeitung jeden Tag Handlung geboten werden musste, war der dazugehörige Text sehr umfangreich und weil Lust auf Weiterlesen gemacht werden sollte, endete jeder Zweizeiler mit einer spannenden Szene. Dies erklärt warum die frühen Geschichten deutlich besser und spannender sind als Jahrzehnte später. Im Vergleich zu einer Bessy-Geschichte aus den 70er Jahren liest man ungefähr viermal so lange an einer dieser frühen Geschichten, wenn sie komplett und originalgetreu übersetzt ist. Auf knapp 360 Bildern pro Geschichte, statt später nur meist knapp über 200 Bildern, gibt es auch mehr zu sehen. Denn die späteren Geschichten wurden mit meist 2 statt 3 Bildern pro Zeile für das deutsche Heftformat hergestellt.

Die Bessy Classic Geschichten entsprechen den ersten kompletten Bessy-Geschichten, die in Belgien 1953 – 1966 in 68 Alben veröffentlicht wurden. Sie erschienen beim Brüsseler Érasme-Verlag auf Französisch und beim belgisch-niederländischem Standaard-Verlag auf Flämisch. Diese Alben unterscheiden sich im Format und der Reihenfolge, wobei die größeren französischsprachigen Alben der Originalreihenfolge deutlich näher kommen. Die Umschlagfarbe der belgischen Alben ist blau und die Titelbilder wurden nach meiner Vermutung auch von Verschuere gemalt. Der Geschichtsteil besteht bis Nr.67 aus 30 Seiten, danach nur noch aus 28 Seiten und ist einfarbig. Die Zeichnungen sind mal in braun-weiß, blau-weiß, grün-weiß, rot-weiß… Die Bessy-Hefte in den Signalfarben Rot und Gelb zu gestalten war später eine Maßnahme des Bastei-Verlags, ebenso Andys gelbe Haare und rotes Hemd. (Seine schwarze Hose malte Klaus Dill auf seinen Titelbildern blau, wohl um bessere Farbkontraste zu ermöglichen.) Vorher in Belgien gab es diese Farbvorgaben nicht, daher ist Andy auf den belgischen Titelbildern oft nicht wiederzuerkennen. Und er trug dort nicht nur auch mal andersfarbige Sachen oder eine andere Haarfarbe, sondern hatte auch recht unterschiedliche Gesichtszüge, da sich auch Verschueres Zeichenstil änderte. Dies wird wohl der Grund sein warum der Bastei-Verlag nicht die belgischen Titelbilder verwendete, sondern neue Titelbilder malen ließ, meist von Klaus Dill.

Die Albenreihe in Belgien brach 1966 ab, denn es musste wegen der großen Nachfrage aus Deutschland ein neues Studio eingerichtet werden. Die Produktion wurde primär auf wöchentlich eine Geschichte für das deutsche Heft-Format ausgerichtet. Zwischenzeitlich wurde der deutsche Leser mit zu Bessy umgearbeiteten Karl-May-Abenteuern versorgt (Bastei Bessy Nr.46-61). Hier wurde Winnetou zu Andys Blutsbruder „Schneller Hirsch“ und Sam Hawkins zu „Mike Moore“. Ab Bastei-Bessy Nr.62 wurden Frank Sels und Edgar Gastmans Hauptzeichner, die im Eiltempo arbeiteten. Zwar gab es in den nächsten beiden Jahren auch noch einige Geschichten für die wieder Verschuere zeichnete mit guten Geschichten, aber die durchschnittliche Qualität sank stark ab.
In Belgien merke man den Bruch deutlicher. Erst nach fast 2 Jahren Pause ging es dort 1968 mit Bessy-Alben Nr.69 weiter, nun in kleinerem Format, in Farbe und mit Dill-Coverbild. Aber es gab dort nur wenige Ausgaben pro Jahr, die flämische Albenreihe endete 1985 mit Album Nr.164, die französische Reihe bei Nr.151.

Wir im deutschsprachigen Raum kennen Bessy als Heft, konzipiert sind die ersten Geschichten aber für Alben. Das bedeutet, dass der Bastei-Verlag für das Heft die Bilder deutlich verkleinern musste. Der umfangreiche Text ist so verkleinert schwer zu lesen, besonders für Leseanfänger (und auch inzwischen wieder für so manchen heutigen Bessy-Leser wie mich). Dies war aber wohl nicht der einzige Grund warum man den Text nicht originalgetreu übersetzte, sondern mehr auf den Punkt brachte. Man musste die Geschichten dem aktuellen Sprachgebrauch anpassen und auch kürzen, denn man wollte Platz haben für Werbung. Für Werbeplatz opferte der Bastei-Verlag leider oft mehrere Seiten einer Geschichte.

Von all dem wusste der deutsche Bessy-Leser natürlich damals nichts. Für mich selbst als Kind war es damals nicht einmal möglich an alle der frühen Bessys zu kommen. Nie hätte ich gedacht, dass Bessy Nr.1 bei Bastei im Original die 51.Geschichte ist und die Geschichte in Bessy Nr.3 über 7 Jahre älter. Dass die frühen Geschichten spannender und anders gezeichnet waren, war mir zwar aufgefallen, aber von ganzen Hintergründen hatte ich keine Ahnung. Zu diesem Wissen kam ich durch die sehr empfehlenswerte Sprechblase Nr.163, gestaltet von Gerhard Förster und Ulrich Wick. Diese beiden sind neben dem Verleger Norbert Hethke maßgeblich für die Veröffentlichung der alten belgischen Geschichten als Bessy Classic verantwortlich.

Bessy Classic Album Nr.1-12:

Es war Gerhard Förster, der zusammen mit dem Wiener Comic-Händler Hutterer 1989 das erste Bessy-Classic in Albenform herausbrachte. Die Alben enthalten jeweils zwei der ersten Bessy-Geschichten, teils erstmals auf Deutsch und erstmals in Farbe. Die belgischen Titelbilder sind innen abgedruckt. Die Alben sind wohl zwecks Wiedererkennung für den deutschen Leser in Rot und Gelb gehalten und tragen Titelbilder von Klaus Dill. Für das erste Album wurde ein schönes Coverbild gefunden, dass Klaus Dill 1966 das Werbebild gemalt hatte. Die Cover des übrigen Classic-Alben zeigen Bilder von Klaus Dill, die er einstmals teils auch für andere Bessy Geschichten gemalt hatte. Mit Album Nr.2 wurde Norbert Hethke der Verleger. In den 12 Bessy Classic-Alben wurden die ersten 24 Original-Geschichten veröffentlicht, noch nicht ganz in der richtigen Reihenfolge, da man damals die französischsprachigen Alben für die Entstehungsreihenfolge hielt. Die richtige Reihenfolge wurde erst von Thomas Opitz und Ulrich Wick durch abfotografieren der Seiten des „La libre belgique“ herausgefunden. Da die meisten Bessy-Classic-Geschichten schon im Bastei-Verlag erschienen waren, übernahm Norbert Hethke der Einfachheit halber diese Geschichten aus Felix oder Bessy. Die von Bastei damals heraus gekürzten Seiten wurden nicht eingefügt, so dass auch hier leider nur die in Deutschland unveröffentlichten Geschichten richtig komplett sind.
Von dem ersten Album existiert auch eine gebundene HC-Version. Die anderen Alben sind leider nicht so hochwertig hergestellt und fallen schnell auseinander.

Bessy Classic Heft Nr.25-68,1-24:

Als ich die Bessy-Classic-Alben zum ersten Mal sah, war ich zwar vom Inhalt, aber nicht so von der Aufmachung begeistert: Ungewohntes Format, zwei Geschichten in einem Band und keine passenden Titelbilder. Das ging wohl vielen Sammlern auch so, was 1995 Norbert Hethke veranlasste die Bessy Classic ab der 25.Geschichte im gewohnten Bessy-Format als Einzelheft herauszubringen. Sofern es Geschichten als Bastei-Heft gab, wurden für die Classic-Hefte die bekannten Titelbilder verwendet. Schön ist, dass Klaus Dill nun nach Jahren Unterbrechung die meisten fehlenden Titelbilder für die Classic-Reihe malte. Nur für vier Geschichten nahm man Titelbilder, die er früher für den 200er Nummerbereich gemalt hatte. Zwei Geschichten tragen wie schon als Bastei-Heft ein Titelbild des Maler Maru.
Auch in den Classic-Heften fehlen zunächst die von Bastei heraus gekürzten Seiten bis es ab Nr.52 Ulrich Wick übernahm fehlende Teile einzufügen. Ab Nr.56 übersetzte er die kompletten Geschichten aus dem Belgischen neu, wobei sich teils erstaunliche Abweichungen zum Bastei-Text ergeben.
Mit Bessy-Classic Nr.68 war das letzte belgische Album aus dieser Phase abgearbeitet und nun wurden die Geschichten Nr.1-24, die bisher in den Alben erschienen waren, nochmals als Bessy Classic Heft herausgebracht, diesmal aber von Ulrich Wick ergänzt und neu übersetzt. Und wieder malte Klaus Dill die fehlenden Titelbilder.
In Planung und von Ulrich Wick komplett fertiggestellt waren noch Bessy-Classic-Hefte Nr.69-74. Doch leider sind sie nicht herausgegeben worden. Diese Geschichten (bei Bastei Nrn.39,41-45) gehören noch zu dieser Schaffensperiode. Sie sind 1966 zwar in Belgien in „La libre belgique“ als Zeitungsfolgen erschienen, jedoch aus unerklärlichen Gründen nicht in der Alben-Reihe.

Bessy und Winnetou:

Nachdem im Januar 2001 mit Heft 24 die Classic-Reihe beendet war, brachte Norbert Hethke Ende 2006 die ersten Bessy Classic Geschichten nochmals. Hierzu kombinierte er zwei Bessy Classic Geschichten mit einer Winnetou-Geschichte von Helmut Nickel als Fortsetzungsgeschichte, dass in einem Heft im Sammelbandformat 3 Geschichten abgedruckt sind. Diese Bände waren mit 9,80 € erstaunlich günstig. (Ein Bessy Classic Heft kostete zuletzt umgerechnet 15,30 €.) Leider verstarb Norbert Hethke 2007 und die Reihe endete schon bei Nr.3 und die Winnetou-Geschichte blieb unvollendet.

Bessy-Classic ist eine tolle Reihe, die in keiner Bessy-Sammlung fehlen sollte. Doch es gibt auch Schwächen:

- In den Bessy Classic-Heften sind die Geschichten Nrn.25-43,45-51 leider nicht komplett, weil die von Bastei heraus gekürzten Teile fehlen.
- Nur die Texte der Nrn.56-68 und 1-24 sind vom Original übersetzt.
- Die Geschichten 69-74 fehlen in der Classic-Reihe ganz.
- Die Kolorierung ist uneinheitlich, meist ist es die Bastei-Kolorierung, die durch den nicht sehr guten Druck der Classic-Hefte nicht besser rüberkommt.
- Die belgischen Titelbilder, also die ursprünglichen Gesichter der Geschichten fehlen den Heften.
- Vier Geschichten haben keine richtig passenden Titelbilder, da hier Dill Bilder späterer Hefte verwendet wurden.
- Durch die Verkleinerung der Albengeschichten auf Heftgröße sind Details schwerer zu erkennen und die Schrift ist zu klein.
- Insbesondere die Nrn.6-24 erschienen in einer sehr geringen Auflage und etliche Nummern sind kaum noch zu bekommen.